Am Dienstag erwache ich um 5:00 voller Elan, voller Energie und voller Freude. Ich hüpfe aus dem Bett, machte mich fertig und bin pünktlich um 5:50 in der Shalla, freue mich darüber, die anderen Yoga-Teilnehmer zu sehen, und könnte einfach nur Bäume ausreissen.

Die Asana Lektion beginnt, und ich freue mich über die überraschende Flexibilität meines Körpers. Ich habe seit dem ersten Tag bereits Erfolge erzielt, die ich mir in dieser kurzen Zeit nicht erträumt hatte, und bin umso begeisterter über jeden cm, den ich weiter in die Positionen komme.
Zwar tut mein Körper noch weh, ich merke die Anstrengung deutlich in den Muskeln, aber die Freude über die neu erlangte Flexibilität überwiegt eindeutig. Ich schwitze und verbiege mich, und am Ende der Lektion bin ich erschöpft, aber glücklich.

Nach der Asana Lektion kommt die Pranayama Lektion. Die Lehrerin bringt uns die verschiedenen Pranayama-Arten bei, deren Effekte und Kontraindikationen, sowie alles darüber, wie die Energien im Körper fliessen, wie Blockaden entstehen und wie diese das Leben des Einzelnen beeinflussen. Natürlich üben wir ausgiebig, bis jeder von uns die korrekte Körper- und Handhaltung, sowie Atmung beherrscht.

Nach der Pranayama-Stunde haben wir Frühstückspause. Ganz nach der Ayurvedischen Lehre sollen zwischen Essen und Asana-Übungen mindestens zwei Stunden vergehen, und so haben wir drei Stunden Pause bis zur Yoga-Hystory Stunde.
In Yoga Hystory lesen und singen wir die Geschichte des Yoga, und unser Lehrer erzählt uns spannendes Rund um den gerade gesungenen Vers. Die Verse sind in Sanskrit, und es ist etwas schwierig für mich, die Konzentration aufrechterhalten. Aber an sich sind die Geschichten hinter den Versen sehr interessant und ich gewöhne mich an diese Lektion.
Nach Yoga History kommt die Lektion, in der wir Yoga-Therapie lernen, sowie die Korrekturen der Asanas lernen.

Diese Lektion ist noch härter, als die Hatha Lektion am Morgen, denn hier werden wir gnadenlos korrigiert und in die richtige Position gebogen. Wo der Lehrer am Morgen noch manches übersieht, hat er hier kein Erbarmen mehr. Er zeigt uns, wie wir unseren Schülern Hilfestellungen geben können, wie wir ihnen helfen könne, flexibler zu sein und wie wir die maximalen Benefits aus den einzelnen Asanas für unsere Schüler und uns selbst heraus holen können.

Der eindeutige Nachteil dieser Lektion ist, dass wir für die Korrekturen selbst herhalten müssen. Das heisst, jeder darf jeden in die richtige Position drücken oder ziehen, und so werden wir ganz schön gequält. Vor Allem die Unflexibleren unter uns, wie mein männlicher Mitschüler und eine weitere Mitstreiterin, aber auch ich, müssen einiges an Schmerzen einstecken und haben trotz der lockeren Atmosphäre wenig zu lachen. Da ich die meisten Asanas noch nie gemacht habe, bin ich vor Allem in der Hüfte und in den Knien, wie es für alle westlichen Stuhlhocker typisch ist, sehr steif und sterbe bei jeder Asana, die die Flexibilität in dieser Region erfordert.

Der Lehrer hat kein Mitleid, seine Korrekturen und Hilfestellungen sind so erbarmungslos, dass jede russische Gymnasikschule ohne weiteres mithalten kann. Er lässt uns ohne mit der Wimpern zu zucken duzende Wiederholungen von Kraftübungen (in Form von speziellen vorbereitenden Asanas) machen und erklärt uns, dass diese die unerlässliche Vorbereitung für die Stärke unserer Muskeln sind, ohne die wir die eigentlichen Asanas nicht machen können. Das Gleiche gilt für die Flexibilität der Gelenke und Muskeln, und es leuchtet mir vorbehaltlos ein, wieso diese Übungen zur Vorbereitung wichtig sind. Ich habe ja in den vergangenen Tagen am eigenen Körper gespürt, wie mühsam es ist, manche Asanas ohne die nötige Flexibilität und Kraft auszuführen.

Leider muss ich zugeben, dass die unangenehmen Methoden des Lehrers wirklich zu Ergebnissen führen, wie ich an mir, aber auch an den anderen Teilnehmern bereits sehen kann.

Am nächsten Tag haben wir alle richtig üble Schmerzen am ganzen Körper, meine Mitbewohnerin mag manchmal vor Schmerzen garnicht aufstehen, so schlecht fühlt sie sich, und auch ich muss schwer mit mir kämpfen, um nicht liegen zu bleiben. Aber bei mir persönlich siegt immer mein Wille. Am zweiten Tag hat der Lehrer uns die Voraussetzungen an einen guten Yoga Lehrer erklärt, und „Selbstdisziplin“ und „ein starker Wille“ zählten zu den yogischen Prinzipien. Ich ziehe das voll durch und bin zugegebener Massen sehr stolz auf mich.

Am Abend haben wir dann, wie eigentlich jeden Abend, kaum noch Energie, um irgendwo hin zu gehen. Meine Mitbewohnerin schafft es dennoch, mich zu einem kleinen Ausflug ins nächste indische Fast Food Restaurant zu überreden, wo wir mit grossem Hunger unser Abendessen zu uns nehmen. Zuhause angekommen setzen wir uns beide ans Lernen, denn die Abschlussprüfungen werden nicht gerade leicht. Ich kämpfe mich durch Sanskritnamen der Asanas, und versuche die Verse in Sanskrit im Kopf zu behalten (ja, auch Singen gehört zur Abschlussprüfung). Das ist eigentlich auch meine grösste Herausforderung: Ich lerne eine komplett neue Welt in einer komplett neuen Sprache kennen. Dass dies noch zu so manch riesiger Frust führt, merke ich schon sehr bald…aber dazu mehr morgen 🙂