Viele meiner Teilnehmer (und vielleicht auch du?) verbinden mit Yoga in erster Linie die Ausübung der Körperhaltungen, der sogenannten Asanas. 
Im Westen wird sehr selten thematisiert, dass der Weg des Yogis eigentlich mit etwas ganz Anderem beginnt: Mit der Ausübung von Ahimsa.

“Himsa” ist das Sanskritwort für “Gewalt”, insofern kann Ahimsa mit “Gewaltlosigkeit” übersetzt werden.
Ahimsa ist ein festes wichtiges Lebensprinzip im Hinduismus, im Jainismus, und im Budhismus genauso wie unter Yoga-Anhängern. 
Ahimsa soll in Worten, Taten und Gedanken praktiziert werden.​
Je nach Religion wird die Gewaltlosigkeit gegenüber Lebewesen, Pflanzen, und der Umwelt mehr oder weniger streng ausgelegt.

Im Yoga gehört Ahimsa zu den Yamas, und ist eine verbidnliche Verhaltensnorm der Um-Welt gegenüber: So sollten Yogis sich rein pflanzlich ernähren um das Leid und das Töten von Tieren zu vermeiden, und schließt das seelische Nicht-Verletzen mit ein.

Für mich schließt Ahimsa auch das eigene Nicht-Verletzen mit ein: In dem man achtsam mit sich und seinem Körper umgeht, keine körperliche oder seelische Grenzen übergeht und weder sich noch anderen Schaden zufügt. Warum genau, erkläre ich weiter unten.

Meine erste Begegnung mit Ahimsa im Yoga waren die Regeln, denen ich in meiner Yogaschule folgen musste: Schüler durften zB die Shallah nur barfuss betreten (um nichts schmutzig zu machen), in der Shallah durfte nicht laut geredet werden (und am Liebsten auch nicht leise) um keinen der anderen Schüler in der Meditation oder der Asana Praxis zu stören, dies schloss auch zB das laute Auslegen der Yogamatte mit ein. 

Ahimsa ist die erste Stufe des Acht-Gliedrigen-Yogaweges und stellt mich auch heute noch immer wieder vor Herausforderungen:

Wie kann ich Anderen seine Grenzen zeigen, ohne ihn/sie zu Verletzen? 

Wie kann ich die Erwartungen von Gesellschaft und Familie erfüllen, und trotzdem meine eigenen Bedürfnisse achten? 

Wie geht Achtsame Asanapraxis im Einklang mit Ahimsa, und wie kann ich für meine Schüler trotzdem körperliche Fortschritte​ erreichen?

Und vor Allem: Wie kann ich meinen Schülern in den Asanas Stunden eine sich-wertschätzende Art, Asanas zu praktizieren, vermitteln, wenn sie in einer Welt, in der uns mehrheitlich beigebracht wurde, dass es immer um “höher, schneller, weiter” geht, aufgewachsen sind und leben?


Mir ist klar, dass Ahimsa aus einer Kultur stammt, in der das Kollektiv weit mehr zählt als das Individuum, und im Grunde auch eher eine Verhaltensweise gegenüber der Umwelt beschreibt, aber trotzdem bin ich der Meinung dass man Ahimsa auch in unser westliches Leben und in den Umgang mit sich selbst integrieren kann, ​
Die Frage, was für wen wie sehr Ahimsa ist, ist vermutlich nicht abschliessend zu beantworten, und jeder muss selbst eine Definition von Ahimsa für sich finden.

​​Im Jainismus wird Ahimsa am Strengsten ausgelegt: Selbst Kleinstlebewesen sollen hier beim Erntevorgang so weit wie es irgendwie geht verschont werden. 
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Mancher Yoga Lehrer isst Fleisch und findet das vollkommen in Ordnung (ich nicht), mancher Yoga Lehrer setzt sich auf seinen Schüler in der vollen Vorwärtsbeuge und findet diese (unter Umständen schmerzhafte) Hilfestellung völlig in Ordnung (ich nicht). Viele Yogalehrer im Westen behandeln diesen philosophischen Aspekt des Yoga erst garnicht und bleiben auf Asanas, Pranayamas und Meditation beschränkt. Dabei ist sie ein wichtiger Bestandteil der Yoga-Praxis und unverhandelbar.   ​

Für mich ist Ahimsa etwas, was ich meinen Schülern nicht oft genug sagen  und in deren Bewusstsein rücken kann, denn meiner Meinung nach ist Ahimsa in unserer westlichen Leistungsgesellschaft ein Aspekt, der uns leider viel zu oft abhanden gekommen ist: Wir (er-)kennen unsere Grenzen nicht (mehr), es wurde uns aberzogen unsere Grenzen zu achten und einzuhalten. Wir betreiben viel zu oft psychischen und physischen Raubbau an uns und die Folgen sind oftmals Erschöpfung, körperliche Verletzungen, Depressionen und Burn Out​. 
Auch andere betreiben Raubbau an uns: Der Arbeitgeber, der seine Stellung dem Arbeitnehmer gegenüber ausnutzt. Der/die Partner/in, der/die den/die Partner/in belügt. 
Es gibt zahlreiche Beispiele, und ich könnte noch seitenweise Beispiele aufzählen. ​

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Ahimsa gehört traditionell zu den Yamas, also den Verhaltensweisen der Umwelt gegenüber…  
Für mich steht aber eines fest:​
Erst, wenn jeder mit sich selbst Ahimsa ist, jeder mit sich selbst wohlwollend umgeht und über sich selbst wohlwollend denkt, kann er/sie die Gewaltlosigkeit auf seine Mitmenschen und seine Umwelt ausweiten. Erst, wenn man seine eigenen Grenzen und “Ansprüche” ​(das englische Wort NEEDS trifft es eigentlich besser) kennt, kann man auf die Grenzen und Ansprüche anderer mit Verständnis und Entgegenkommen reagieren. Und nur, wenn es jedem Menschen erlaubt ist, sich selbst mit Wohlwollen zu begegnen, ohne dafür verurteilt zu werden, kann letztlich Frieden auf der Welt entstehen. 

​Wie siehst Du Ahimsa, kennst Du Ahimsa? Wie praktizierst Du Ahimsa?
Ich bin gespannt auf Deine Erfahrung und Meinung!  ​