Der Tag, an dem ich die indische Notaufnahme ausprobieren durfte

Ich bin grundsätzlich ein Gegner von überflüssigen Impfungen, einfach, weil ich Spritzen hasse. So bin ich auch, ohne mich nennenswert impfen zu lassen, durch die Welt getingelt. Da ich in Indien nie Kontakt zu Tieren hatte, habe ich auch die empfohlene Tollwutimpfung nicht machen lassen.

 

Bis ich den süßesten Welpen aller Zeiten traf. Der junge Hund wurde von einem Ladenbesitzer nahe meiner Wohnung gefüttert und liebte Knuddeln und Kekse. Da ich täglich mehrmals etwas an diesem Kiosk kaufte, traf ich den Welpen täglich. Er war jedesmal verschmust, verspielt und super glücklich, wann immer jemand ihn beachtete. Am letzten Sonntag vor meinem Rückflug war ich mit meiner Freundin zum Sonnenaufgang-Foto-Shooting verabredet, aber typisch indisch kam sie nicht. Also ging ich alleine los, einfach so durch die Gassen und Strassen, und beobachtete, wie die Stadt aufwachte.

 

Auf dem Weg nach Hause kam ich dann an dem Welpen vorbei, aber an diesem Morgen war er irgendwie aufgekratzter als sonst. Er spielte immer wilder und immer heftiger mit mir und fing an, mich mit seinen spitzen Zähnchen zu bearbeiten. Er kratzte mich am Arm, am Kopf, an den Waden, er spielte nur, das wusste ich, aber er hatte sich nicht mehr wirklich im Griff (sofern Welpen sich je im Griff haben können). Ich versuchte, zu gehen, aber er ließ nicht von mir ab und so hielten ein paar Männer ihn zurück, damit ich heim gehen konnte.

 

Zuhause angekommen begutachtete ich meine Arme und Beine, sah die Kratzer, dachte mir aber nichts dabei. Ich duschte, frühstückte und fing an für die Abschlussprüfung zu lernen. Meine Freundin rief an und entschuldigte sich für ihr Fehlen und ich erzählte ihr was ich statt dessen gemacht habe. Sie war Physiotherapeutin und arbeitete lange im Krankenhaus. Sie legte mir nahe, wegen den Kratzern ins Krankenhaus zu gehen, damit sie mir die Kratzer desinfizieren konnten. Ich dachte darüber nach, kam mir aber blöd vor, wegen ein paar Kratzern ins Krankenhaus zu gehen. Am Nachmittag beriet ich mit meinem Freund darüber. Ich googelte Tollwut und erst ganz langsam wurde mir bewusst, dass zwar eine geringe, aber immerhin eine reale Chance besteht, dass der kleine Strassenhund die Erreger in sich trug. Es dauerte eine lange Weile, bis ich alle Für- und Wider für mich abwog…schliesslich war ich in Indien, ich meine, was erwartete ich von einem Krankenhaus in Indien? Ewige Wartezeiten inmitten von auf dem schmutzigen Boden sitzenden Menschen, eben das, was ich in Dokumentationen schon gesehen habe.

 

Der Überlebenswille hatte gesiegt?

Aber meine Angst vor dem Tod – anders kann ich es nicht nennen – wurde grösser und grösser. Schliesslich überwand ich mich nach einem letzten Gespräch mit meiner indischen Freundin und lief in das nächste Spital. Ich muss dazu sagen, dass es in Indien gefühlt in jeder Strasse mindestens zwei Spitäler gab. Allein in der kurzen Strasse, in der ich wohnte, gab es ein Orthopädisches Krankenhaus, ein Gynäkologisches- und ein Reproduktionsspital. Nun klopfte ich an der Türe des orthopädischen Spitals. Eine Krankenschwester öffnete und ich berichtete was ich wollte. Sie schob mich ohne Umschweife mit der Adresse eines angeblich grossen Krankenhauses zur Tür und empfahl mir, dringend sofort dorthin zu gehen. Also bestellte ich mir eine Riksha und zog los. Es war mittlerweile nach 21 Uhr und ich hatte keine Ahnung was mich erwartete. Mein Fahrer hielt vor einem ziemlich ziemlich grossen Emergency-Eingang, vor dem etliche Krankenwägen und Menschen warteten. Ich zahlte den Fahrer und ging Richtung Eingang.

 

Ein Security-Mitarbeiter fragte nach dem Grund meines Kommens und liess mich rein. Hinter der Tür war es sauber und ruhig. Von Chaos keine Spur. Ich wurde zu einem Mann hinter einer Scheibe gerufen, ich erklärte ihm was mir passiert war und er wollte mein Pass sehen. Ich reichte ihm meinen Pass und der Mann nahm meine Personalien auf. Er gab mir eine Rechnung zusammen mit meinem Pass: Umgerechnet etwa 5€ kostete mich die Konsultation. Ich zahlte und durfte durch die nächste Schwingtür. Dort war offenbar die Notaufnahme, etwa 20 Betten standen nebeneinander, nur von Vorhängen getrennt. Ich wurde zu einem Tresen gewunken, hinter dem Ärzte und Schwestern eilig in PCs und auf Krankenakten sahen, miteinander berieten und eilig wieder weg liefen. Ein junger Arzt kam, fragte mich, was passiert sei. Ich erzählte ihm von dem Hund, er sah sich meine Arme an und wies mich knapp und harsch an, mir 5 Minuten lang den Arm mit Seife zu waschen.

 

Ich war ziemlich verdutzt, tat aber wie mir angewiesen. Nach 5 Minuten stand ich wieder am Tresen, der Arzt sagte etwas zu einer Schwester, die mir ein Rezept aushändigte. Sie befahl mir zur Apotheke im zweiten Stock zu gehen und dann sofort wieder her zu kommen. Also tat ich so. Es dauerte ein wenig, bis ich in diesem riesigen Komplex die Apotheke fand. Vor mir standen etwa 3 Inder, die auch etwas brauchten. Dann kam ich dran. Ich gab mein Rezept her, bekam nach zwei drei Minuten ein Päckchen und bezahlte etwa 3 Euro. Unten angekommen setzte mich eine Schwester auf eine Liege, rammte mir ohne Zeit zu verlieren die Spritze in den Oberarm, lächelte und sagte, ich solle in den nächsten Tagen vorsichtig sein mit Sport. Am Tresen gab man mir meine Akte und einen Behandlungsplan. Der Arzt nahm sich noch Zeit, mich zu Fragen, ob ich die Massnahme verstanden habe (die international empfohlene Massnahme bei Verdacht auf Tollwut, nachträgliches Impfschema).

 

Um mich herum weinten Menschen, schwirrten Ärzte und Schwestern herum und dieser junge Arzt stand neben mir, als ob das was ich habe, das Wichtigste sei. Ich kam mir ehrlich gesagt, echt dumm vor. Aber er fragte mich nochmals, ob ich die Massnahme (Impfungen an den Tagen 0-3-7-14-21-28) verstanden habe, er wies mich darauf hin, dass es wirklich lebenswichtig sein, die Tage an denen ich die nächsten Spritzen bekommen sollte, penibel einzuhalten. Ich durfte erst gehen, nachdem ich ihm mehrmals bestätigt habe, dass ich wieder kommen würde.
Ich fuhr mit einer Riksha nach Hause und sank in ein tiefen Schlaf.

 

Typisch Indisch und typisch Deutsch?

Am nächsten Morgen wachte ich auf, ging, wie üblich, zur Yogastunde, und berichtete meinem Lehrer von der Nacht. Ich machte in den letzten drei Tagen der Ausbildung etwas weniger intensiv mit, als sonst und nach der Pranayama Class am letzten Tag bestellte ich eine Riksha zum Hospital. Ich ging diesmal zum Haupteingang hinein und erst jetzt sah ich wie gross dieses Krankenhaus wirklich war.. es war ein wahrhaftig riesiges Krankenhaus. Überall sassen Menschen, auf Stühlen und auf dem Boden, überall wuselte es typisch indisch. Überall hingen Schilder, die erklärten, wie das Gesundheitssystem für Ärmere funktioniert. Es gab auch Zimmer, die offenbar extra für ärmere Menschen waren, in denen laut Schilder jemand sass, der Ärmeren half, Gelder für ihre Behandlung zu bekommen. Ich lief weiter, bis ich dort ankam, wo ich meine zweite Spritze bekommen sollte. Wieder kam ich zu einem Tresen, an dem ich einer Dame in Krankenhaus-Uniform mein Zettel mit den Impf-Massnahmen gab. Sie gab ihn mir wieder, lächelte mich an und schob das Rezept hinterher. „Go, get it and come again“ sagte sie knapp und widmete sich einem anderen Patienten. Ich ging also den ganzen Weg zurück, bog zur Apotheke ab und wartete bis ich meine Impfung bekam. Dann lief ich zurück und fragte, ob ich die Aufnahmegebühr nochmal bezahlen müsste? Sie erklärte mir, dass ich mit der einmaligen Zahlung, die ich bereits geleistet habe, ein Jahr lang im Krankenhaus vorstellig werden könnte, und nur die Medikamente zahlen müsste. Die Dame wies mich an, in ein Zimmer einzutreten.

Ich klopfte -sehr deutsch- an und etwa acht Augenpaare drehten sich zu mir. Ein Arzt war von Studenten umringt, die offensichtlich gerade ein Fall beredeten. Ich wollte schon – wieder typisch deutsch – aus dem Raum gehen, da rief mich der Arzt zurück und schob mir ein Stuhl zu. Ich setzte mich, der Arzt sah sich meine knappe Akte an und sah zu seinen Studenten. Er lächelte mich an und sagte: „Wie schön, dass uns heute morgen ein besonderer Fall bereichert.“ Und zu seinen Studenten stellte er die Frage: „Wer weiss, wo in Indien die einzige Fabrik steht, wo Impfstoff gegen Tollwut hergestellt wird…? Und die deshalb für Indien und international ungeheuerlich wichtig ist, nebenbei gesagt.?“ Ein Student antwortete, eine weitere Studentin antwortete, aber beide lagen falsch. Keiner wusste es und so offenbarte der Arzt die Lösung selbst (ich habe übrigens immer noch keine Ahnung wo das sein soll), bevor er eine Studentin anwies, mir die Spritze zu geben. Die Studentin wurde sichtlich nervös, sagte aber nichts und nickte bloss. Sie ging mit mir nach nebenan in ein leeres Zimmer und nestelte an ihrem Kittel herum. Ich wollte die Situation etwas lockern und fragte, seit wann sie schon da sein und ob sie schon öfters Spritzen gegeben habe, sie lächelte verlegen und erzählte irgendwas von erstem Jahr als Assistentin und verschwand plötzlich. Als nächstes kam eine dicke, ältere Schwester ins Zimmer, wies mich ohne das Gesicht zu bewegen an mein Po frei zu machen. Ich fragte noch wo die andere Ärztin sein, sie antwortete aber nicht. Statt dessen zog sie die Spritze auf und rammte mir die Nadel ohne zu desinfizieren in den Hinternmuskel. Ich zog mich an und fragte sie, ob sie nicht eventuell das Desinfizieren vergessen habe. Sie grinste und sagte nur: Bei so einer Kleinigkeit sei das unwichtig. Und weg war sie. Ich fragte den Arzt, ob ich eine Ampulle des Impfstoffes mit Heim nehmen dürfte, falls es das in Deutschland nicht gibt. Auch, weil ich die vierte Spritze an einem Sonntag bekommen sollte. Aber er sagte, ein Land wie Deutschland sollte den gleichen Impfstoff haben, ich solle es einfach dort kaufen.

Endlich wieder daheim, oder?

Also kam ich am nächsten Tag in Deutschland an, an einem Donnerstag. Ich hatte ein komisches Gefühl und so ging ich am Freitag ins Krankenhaus, um ein Rezept zu bekommen. In Pforzheim, wohin mich mein Freund zunächst brachte, weil ich total übermüdet war, sass ich in der Notarztpraxis, es war nichts los und ich erklärte um was es geht. Ich bekam ein Rezept mit dem Hinweis, dass es sein kann, dass es in Pforzheim das Impfstoff nicht geben könnte. Tollwutimpfstoff sei rar in Deutschland, eventuell müsste ich ins Tropische Institut nach Karlsruhe fahren. Ich solle aber halt mal Apotheken abtelefonieren. Ich fand dann doch eine Apotheke, die den Impfstoff hatte und ich bekam die letzte Ampulle. Am Sonntag spritzte man mir anstandslos Spritze Nummer Vier.

In meiner Heimatstadt gibt es zwei Kliniken. Wieder ging ich am Freitag zu der ersten, bei der ich eigentlich ein ganz gutes Gefühl hatte. Ich erklärte mein Anliegen, die Spritze am Sonntag zu erhalten, und zu meiner Überraschung wurde ich abgewiesen, Ich solle zum Hausarzt gehen. Auch mein Einwand, dass mein Hausarzt Sonntags nicht praktizierte, liessen sie nicht gelten. Überrascht und ja, auch etwas erbost ging ich zum zweiten Krankenhaus. Hier bin ich in die Not-Praxis, erklärte meine Lage und zeigte auch mein Impfschema aus Indien. Die Ärztin stand auf, schickte mich raus mit den Worten: Das ist ein Fall für den Hausarzt. Gute Besserung! Und raus war ich.

Nun stand ich ganz schön blöd da, im tollen Deutschland mit der tollen Gesundheitsversorgung. Ich wurde ärgerlich, richtig wütend, es konnte doch nicht sein, dass eine dumme Spritze, eine Sache von zwei Minuten, ausgerechnet in Deutschland ein Problem darstellte! Es war ja nicht so, dass ich wichtigeren Fällen den Arzt wegnahm, es waren ausser mir nur wenige Menschen da, und die sahen nicht nach Notfällen aus. Und überhaupt, ich hätte ja warten können, ich wollte einfach dieses blödes Rezept und diese blöde Spritze!
Ich rief meine Krankenkasse an, und berichtete was ich gerade erlebt habe. Der nette Mann am Telefon empfahl mir, kein Aufsehen zu machen und erstmal ein Privatrezept zu verlangen. Das dürfte mir keiner verwehren und dann sieht man weiter. Also tat ich so und bekam das Rezept tatsächlich. In der Apotheke zahlte ich dann 70€, und wurde darauf hingewiesen, dass dieser Impfstoff sehr schwer zu bekommen sei und nur noch eine Ampulle da wäre, ob man mir diesen reservieren solle. Ich war wirklich verblüfft! Tollwutimpfung ist eine schweineteure Rarität? Und das in Deutschland? Krass. Ich reservierte also die Ampulle und ging. Am Sonntag ging ich auf Anraten meiner Krankenkasse ins Krankenhaus, man sagte mir keiner dürfte mir die Spritze verwehren. Ich rief aber lieber meinen Hausarzt an und fragte ihn nach seiner Meinung. Er sagte, er wundere sich über das Verhalten des Krankenhauspersonals, aber da ich die ersten drei Impfungen bereits bekommen habe, denke er, ich könne die nächste um einen Tag verschieben. Und so bekam ich die letzten drei Impfungen bei meinem Hausarzt. Die letzte Impfung musste ich mir auch reservieren lassen, da es auch in der anderen Apotheke nur noch diese eine Ampulle gab. Aber schliesslich ging zum Glück doch alles gut.

 

Warst Du schon mal in einem ausländischen Krankenhaus? Wie sind Deine Erfahrungen? Ich bin gespannt auf Deine Erfahrung.