Vor meiner ersten Indien-Reise war Yoga für mich ein nerviger, aber nicht zu umgehender Bestandteil meines Jobs. Ich musste als GF-Managerin in der Lage sein, eine Yoga-Stunde vertreten zu können, und so habe ich mir eine Standard-Yoga-Lektion erstellt, die ich bei Bedarf, wenn auch ungern, abspulte. Ich war weder spirituell, noch relaxed, ruhte nicht in mir und glaubte auch nicht an sowas. Meine Welt, das waren Kraft- und hochintensive Trainings, oder Zumba. Meine Yoga Stunde bestand somit auch aus einem Flow von anstrengenden Asanas, die immer wieder am Stück durchgeführt wurden.

Als ich krank wurde, lernte ich meine liebe Freundin Christina kennen, die ihrerseits zwar kein Yoga praktizierte, aber sehr viel mehr daran glaubte, dass es „mehr“ gibt zwischen Himmel und Erde, als wir sehen, als ich. Sie stupste mich immer wieder darauf, „in die Wahrnehmung zu gehen“, wie sie es nannte. Sie behauptete, jede Krankheit und jedes Signal des Körpers will uns etwas sagen, man müsse nur genau hinhören, um es zu verstehen. Das war viel leichter gesagt als getan, und es fiel mir sehr schwer, mich auf mein Bauchgefühl zu verlassen. Zu oft, das bildete ich mir ein, wurde ich davon schon im Stich gelassen. Aber Christina hörte nicht auf, mich sanft und unermüdlich dazu zu ermuntern, dem eigentlichen Zweck dieser Krankheit auf den Grund zu gehen.

Dann trat Yoga in mein Leben.
Ich wohne einige Wochen in einem Zimmer in einem sogenannten Club. Die Frauen des Clubs trafen sich täglich zu Yoga, und zwei mal machte ich mit. Beim ersten Mal dachte ich tatsächlich, ich wisse, was mich erwartet, und kam freudestrahlend in den Yoga Raum. Was ich sah, erschreckte mich etwas: Ich war ein tadelloses Yoga-Ambiente gewohnt – mit Schnickschnack, Yogakissen und Buddhas im Lotussitz. Statt dessen stand ich in einem staubigen Raum, nicht sonderlich aufgeräumt, in nicht gerade „yogischer“ Ambiente. Mit abgewetzten Matten und umgeben von Tischen und Stühlen, die offenbar in dem Raum gelagert wurden.

Die Frauen erschienen, in normaler Alltagskleidung, und die Trainerin legte los. Alle schnatterten durcheinander, während die ersten Übungen gemacht wurden. Während ich aus meinen Stunden ein andächtiges Schweigen gewohnt war, wurden hier die Neuigkeiten des Tages ausgetauscht.
Auch die Übungen kannte ich nicht, aber ich versuchte sie tapfer nachzuahmen. Nachdem das Aufwärmen offenbar vorbei war, kam der Sonnengruss.

Ich atmete auf, denn endlich, so dachte ich, kannte ich etwas und konnte brillieren. Aber die nächste Überraschung folge: Nach jedem Sonnengruss wurde ein Mantra in Hindi gesungen, den ich natürlich nicht mitsingen konnte. In den Yoga Stunden, die ich kannte, wurde auch nicht gesungen, und ich wollte auch nicht singen. Ich habe eine schreckliche Singstimme, das bestätigte meine Mutter mir gern und häufig, und so weigerte ich mich mein Leben lang, zu singen. Ich stand also während der Mantras tapfer still, und hörte zu. Nun sei aber gesagt, das so ein Mantra gern einmal einige Minuten dauert, und die Frauen sicher 25 Sonnengrüsse gemacht haben. Ich hatte also wirklich viel Zeit, Sie zu beobachten: Die Frauen waren bunt gemischt, jüngere, ältere, offensichtlich extrem übergewichtige, einige mit offensichtlichen Verletzungen und körperlichen Beschwerden. Trotzdem waren alle in einem Kurs und niemand hatte Hilfsmittel. Alle machten die gleichen Übungen, mal besser, mal schlechter. Aber alle machten mit. Nach den Sonnengrüssen folgten Stellungen, die selbst für mich eine echte Herausforderung waren, die Frauen um mich herum aber trotz der schlechteren körperlichen Verfassung scheinbar mühelos einnehmen konnten.

Dies war der Punkt, an dem ich anfing, mir ernsthaft Gedanken zu machen.. das westliche Yoga, das ich kannte, war scheinbar nicht das indische Yoga, das hier praktiziert wurde. Zu diesem Zeitpunkt war ich jedoch noch nicht soweit, in meiner Welt war noch kein Platz für Yoga. Mein Verlobter hatte gerade einen Schlaganfall überlebt, und bei ihm wurde zusätzlich Diabetes diagnostiziert. Ich war froh, dass er keine grössere Beeinträchtigungen hatte, und damit beschäftigt, mit ihm in sein neues Leben zu finden.

Aber Yoga hat mich gefunden, und einen kleinen Samen in mein Herz gepflanzt.