Am Nachmittag sollten wir nochmals in der Shala erscheinen, um über den Ablauf und die Regeln der Ausbildung zu sprechen. Da meine Zimmernachbarin verschlief, kamen wir fast zu spät, und eine dritte Mityogini und unser Lehrer warteten bereits auf dem Boden sitzend auf uns. Wir setzten uns dazu, und die Assistentin des Lehrers kam mit unseren Unterlagen, die sich in einem Beutel befanden, in den Yogaraum.

„Das sind eure Skripte, behandelt sie mit Sorgfalt, sie sind sehr wichtig in den nächsten vier Wochen.“ Begann unser Lehrer mit seinem Monolog. „Ihr werdet zu jeder Lektion mit diesem Beutel erscheinen, denn ihr wisst nie, wann wir etwas lesen oder aufschreiben. Nimmt nun eure Skripte in die Hand.“ Sein Englisch ist eigentlich ganz gut, trotzdem bin ich im Kopf etwas müde, und verstehe nicht immer alles, was er sagt, sofort.

Überhaupt muss ich mich erst daran gewöhnen, dass ich den Alltag nun wieder auf Indisch-Englisch meistere. Dies ist vor Allem deshalb eine neue Herausforderung, weil ich mit meinem daheim gebliebenen Freund viel telefoniere und schreibe, und dies natürlich auf Deutsch. So wird mein Kopf schnell müde, und macht manchmal einen seltsamen Knoten, und ich rede halb Deutsch halb Englisch, oder verstehe ich eben nicht alles.   

Unbeirrt fährt unser Lehrer mit seinen Ausführungen fort, und erst, als meine Zimmernachbarin ihr Skript in die Hand nimmt, verstehe ich die Anweisung. Ich nehme das etwa 300 Seiten starke Buch in die Hand und öffne es.

„Auf der ersten Seite findet ihr unseren Stundenplan. Nehmt ihn als Leitfaden, aber er wird manchmal anders sein. Je nach dem, wie ihr performt, werde ich mal mehr, mal weniger machen.“ Spricht er bestimmt und sitzt dabei mit ernster Mine vor uns. „4:30 ist Ashtanga Yoga, den könnt ihr besuchen, müsst es aber nicht. Hatha Yoga folg danach, dann habt ihr Frühstückspause. Um 11:00-13:00 ist Karma Yoga, Selbststudium und Projekte, die wir euch vorgeben. Hierfür erscheint ihr im Shala. Ich weiss, wenn ihr zuhause bleibt, spielt ihr nur sinnlos auf dem Handy herum. Hier aber habt ihr euch für eine Ausbildung entschieden, die wir sehr ernst nehmen. Also, verbringt ihr diese Zeit hier im Shala, und übt, oder lest Bücher die ich euch auftrage. Wenn ihr es wirklich wollt, wird diese Ausbildung machbar sein. Es ist wie mit einem Handstand: Ihr müsst es wollen, dann klappt es auch. Wenn ihr es nicht wirklich wollt, werdet ihr nie auf der Hand stehen.“ Bei diesen Worten blickt er ernst in unsere Gesichter, und ich fühle mich ertappt. ja, auch ich bleibe gern an meinem Handy hängen und scrolle sinnlos auf Social Media herum, anstatt sinnvolles zu tun. Dass dies in den nächsten Tagen nicht mehr vorkommt, weiss ich an diesem Tag noch nicht.

„Karma Yoga ist sehr wichtig, es ist der uneigennützige Dienst an der Allgemeinheit. Wenn ihr dies tut, wird der Ego kleiner, was ein wichtiger Bestandteil von Yoga ist. Ihr werden die Shala putzen, aufräumen, die Umgebung sauber halten oder was sonst noch anfällt. Wir werden euch täglich etwas zuteilen.“ Dann fährt er fort „Yoga Hystory werde ich je nach Zeit und Bedarf unterrichten, die Mantra werden in Sanskrit sein.“ Dann schaut er mich an „Hystory und die Mantra werden für dich in Sanskrit schwierig werden, aber die Mantra musst du lernen. Hystory wird ein sehr trockenes Thema, weil du es nicht verstehen wirst, also gebe ich dir Bücher, um es auf englisch nachzulesen.“ Ich weiss nicht genau, was ich mit dieser Information anfangen soll, und nicke lächelnd. „Samstags habt ihr zusätzlich Asana Technik und was unter der Woche zu kurz kam. Sonntags habt ihr frei, um Selbststudium zu betreiben.“

Ich freue mich schon auf die Sonntage und weiss noch nicht, dass die Sonntage NICHT immer frei sein werden.

Unser Lehrer redet noch eine Weile weiter, und nach 45 Minuten sind alle Regeln erklärt und wir dürfen gehen.

Zuhause angekommen freuen meine Zimmernachbarin und ich uns auf die erneut freie Zeit, denn wir sind beide ganz schön platt von der ersten Lektion, und in mir steigt eine leise Vorahnung auf, dass diese vier Wochen kein Spaziergang werden. Sie verzieht sich in ihr Zimmer und auch ich schlafe noch einmal ein. Ich wache gegen 16:00 auf und schleiche mich aus der Wohnung, die seltsam leer und verlassen da steht. Ich erkunde die Umgebung, diesmal in die andere Richtung. Trinke einen super leckeren, aber völlig übersüssten Kaffee, wie er hier absolut üblich ist, kaufe herrlich duftenden Jasmin für mein Zimmer  (meine absoluten Lieblings-Blumen), lache mit den Menschen um mich und geniesse das indische bunte Leben auf der Strasse.

Ich liebe dieses Land und ich liebe die Menschen hier, ich geniesse jede Sekunde so sehr, dass ich es manchmal gar nicht in Worte fassen kann. Die Herzlichkeit und Freundlichkeit der Menschen hier ist unbeschreiblich. Sie sind offen, nett, und hilfsbereit, und ich bin unendlich dankbar, in diesem wundervollen Land sein zu dürfen.

Als ich wieder im Zimmer ankomme, ist auch meine Zimmernachbarin wach und wir beschliessen, gemeinsam auswärts zu essen. Auf dem Weg zu einem der zahlreichen Food-Trucks gehen wir in einem indischen Supermarkt vorbei, und sie hilft mir, neue, indische Kleider zu kaufen. Ich habe mir nicht viel mitgebracht, damit ich mir Kurtas, Hosen und Sarees kaufen kann. 

Wir essen auf dem Rückweg an einem der meistbesuchtesten Food Trucks, und die Müdigkeit treibt uns beide recht schnell in die Zimmer zurück, wo wir noch eine Weile reden, bevor wir mit schmerzenden Körpern ins Bett fallen. Tag 1 ist geschafft 🙂