Day 1.

Nachdem ich mein spartanisch eingerichtetes und nicht wirklich westlichen Hygienestandards entsprechendes Zimmer bezogen und notdürftig eingerichtet habe, hatte ich Zeit, die Umgebung ausgiebig zu erkunden. Dank Google habe ich dann tatsächlich die Strasse gefunden, wo das meiste Leben nach 6 Uhr abends stattzufinden scheint, und ich alles nötige, von frischen Früchten und Gemüse bis hin zu Kaffee, warmen indischen FastFood und sogar Küchenutensilien und Blumenkränze bekommen kann.

Ich befinde mich in der saubersten und sichersten indischen Stadt, und so fühle ich mich auch sehr wohl auf der Strasse. Verglichen mit Bengaluru ist es sehr einfach, Strassen zu überqueren, und auch das Einkaufen gestaltet sich deutlich einfacher als in der benachbarten Megametropole.

Der erste Morgen meiner Ausbildung begann nicht sehr früh, wie erwartet, aber immer noch früh genug. Meine Mitbewohnerin verschlief, und so kam ich fast zu meiner ersten Yogastunde zu spät. Um 6:00 pünktlich stand ich wortwörtlich in einem kahlen, weissen Raum auf der Yogamatte und warte gespannt auf das, was mich erwartet. Während ich von deutschen Yogaräumen Buddhas, Deko, angenehmes Licht und nettes Ambiente gewohnt bin, ist meine Ausbildungsstätte ein einfacher, kahler, weisser Raum mit abgewetzten Türen und staubigen trüben Fenstern. Dennoch hat der Lehrer hier einen sehr guten Ruf, und die Mitstudenten kommen aus allen teilen Indiens.

Zusammen mit 4 anderen Schülern begannen wir unsere Yogalektion, die sich, wie erwartet, völlig von einer Yogastunde, wie ich ihn kannte unterschied. Wir begannen mit einem gesungenen Mantra, verbeugten uns, machten danach etliche Sonnengrüsse, die wieder von Mantra-Singen unterbrochen, und auch anders durchgeführt wurden, als in Deutschland. Nach den Sonnengrüssen ging es nahtlos in die Körperübungen, den Asanas, über.

Die hatten es zweifellos in sich: Ich bin es gewohnt, im Fitnesstraining harte Workouts zu absolvieren, aber verglichen mit dieser Yoga Stunde waren sie harmlos. Ich erlebte wirklich die anstrengendste Hatha Yoga Lektion meines Lebens. In ca. 60 Minuten wurden 48 Asanas geübt und viel länger gehalten, als ich es gewohnt bin. Auch wurden die Asanas viel extremer eingenommen, als ich dies aus Deutschland gewohnt bin. Ich schwitzte schon nach den ersten drei Asanas und meine Beine zitterten vor Anstrengung. Zunächst wurde ich vom Yoga Lehrer verschont, und die Korrekturen erwischten nur meine Zimmernachbarin, aber schon nach der zehnten Asana begann er auch an mir zu korrigieren, drückte meine Beine weiter vor, meine Arme höher, zog meine Hände weiter nach hinten, die Schulterblätter zusammen oder mein Kopf mehr in die Länge.

Insgesamt kam ich mir so richtig unflexibel und schwach vor. Asanas, die ich für unmöglich befand, machten meine Mitschüler scheinbar mühelos. Während ich ächzte und stöhnte und vor Anstrengung schier umfiel, machten meine Mityogis relaxte Gesichter.

„Kaue nicht auf Deinen Lippen, das führt nur zu Verkrampfungen!“

„Atme tief! So, dass ich es höre!“          

„Nimm Deine Hände höher!“

„Heb Deine Hüfte mehr an!“

Seine Anweisungen kamen klar und wie aus der Pistole geschossen, und als ich einmal einen Blick auf den Mitschüler hinter mir wagte, fuhr er mich sofort an: „ Schau nicht auf andere, was andere tun ist egal! Wenn du einen Fehler machst komme ich, keine Sorge.“

Von da an versuchte ich, meinen Fokus ganz auf mich zu halten, und schloss wann immer es ging, meine Augen, denn sonst hätte ich gern den einen oder anderen Blick zum Vergleich auf meine Nachbarn geworfen 🙂 . Die Balance-Ananas forderten mich sehr, und ich stellte fest, dass ich in den Schultern sehr unflexibel war. Die Drehungen in der Wirbelsäule waren kein Problem, allerdings hörte es schon wieder bei den Asanas auf, wo sich die Hände verknoten mussten. Alles in Allem war ich sehr ernüchtert, ich befand, dass ich nicht gut war, vor Allem nicht im Vergleich zu meinen Mit-Yogis. Es gab zwar Ungeübtere, als mich, aber auch viele die wesentlich flexibler, stärker und geübter waren.

Nach den 48 Asanas war ich völlig verschwitzt, meine Kleider nass, und meine Muskeln müde und am Zittern. Der Lehrer forderte uns auf, in die End-Entspannungsposition zu gehen und verliess den Raum. So, wie meine Mitschüler teilweise erst verspätet in die Stunde kamen, verliessen sie nun die Endentspannung, Einer nach dem Anderen, jeder im eigenen Tempo.

Ich genoss die Stille und blieb noch einige Minuten liegen, bis die Geräuschkulisse vor dem Haus lauter wurde, und mein Magen anfing Hunger zu melden. Wie ich feststellte, war ich die Letzte, die noch in Savasana lag.

Bereits eine Stunde später, nach dem Frühstück, sollte ich wieder im Shalla sein für ein  Orientierungsgespräch, bei welchem mir die Verhaltensregeln für die nächsten vier Wochen erklärt wurden.

Erschöpft und nass geschwitzt lief ich in die WG, wo bereits eine warme Upma auf mich wartete, die ich schnell verschlang, bevor ich zu einem kurzen, tiefen Schlaf ins Bett sank.