Wieder beginnt der Tag um 5:00 und ich schaffe es, trotz nur 4 Stunden Schlaf, aus dem Bett zu krabbeln. Wie viel einfacher es doch ist, aufzustehen, wenn es warm ist! Trotzdem bemerke ich, dass die schmerzenden Muskeln und die Müdigkeit meine Laune beeinflussen. Ich verdrehe innerlich kurz die Augen…es ist erst der zweite Tag-wie solle es noch in den nächsten vier Wochen werden?!

Ich wecke sicherheitshalber meine Zimmernachbarin, und mache mich fertig für den Tag. Mein Körper fühlt sich steif an und schmerzt, als hätte ich ein richtig heftiges Workout hinter mir.

Meine deutsche Seite will um 5:45 loslaufen, um pünktlich im Shala zu sein, und ich stehe tatsächlich um 5:35 fertig vor der Tür. Ich lausche in die Wohnung, aber meine Zimmernachbarin scheint wieder eingeschlafen zu sein. Also rufe ich ihren Namen. Erschrocken fährt sie hoch und bittet um fünf Minuten, die ich natürlich warte. Wieder kommen wir gerade noch rechtzeitig in der Yoga Stunde an. Diesmal sind wir die einzigen zwei Schüler, verstecken ist heute also zwecklos. Der Lehrer beginnt mit der gleichen Abfolge wie gestern.

Mantra singen in Sanskrit, verbeugen, Sonnengruss, Asanas. Heute gibt er sich nicht mit 48 zufrieden, sonder macht einige mehr. Er korrigiert noch mehr und ist noch strenger. Einmal lasse ich meine Gedanken schweifen und höre nicht was er sagt. Sofort bekomme ich einen Rüffel: „Bis Montag musst du alle Körperteile auswendig lernen, du musst wissen, wo du was hin drehen musst.“ Offenbar geht er davon aus, dass ich nicht gut genug Englisch kann, dabei habe ich einfach nicht aufgepasst. Dies ist mir eine Lehre, und ich versuche, meine Gedanken bei den Anweisungen des Lehrers zu halten. Diese sind präzise und lassen keinen räum für Spekulationen. Mir tut jeder Muskel weh, und er will heute noch mehr. Ich spüre, wie meine Muskeln bei manchen Bewegungen streiken möchten, oder zumindest weniger lang halten wollen, aber der Lehrer ist unerbittlich. Wir halten die Asanas länger als gestern, und machen einige, komplizierte, mehr.

Um 7:00 klingelt mein deutscher Wecker gerade, als wir auf dem Bauch liegen, um eine neue Asana zu machen. Mein Lehrer guckt mich fragend an. Ich entschuldige mich und erkläre, dass es mein deutscher Wecker ist. Er lacht laut auf und fragt: „Du stehst erst um sieben Uhr auf?!“ Ich verstehe den Hint, und schäme mich etwas. Den Wecker werde ich ganz sicher nie mehr an lassen.

Als die Uhr endlich 7:15 anzeigt, und wir uns in Savasana legen dürfen, bin ich nass geschwitzt und alles tut weh. Ich stelle fest, ich schwitze sowohl in westlicher Sportkleidung als auch in indischer, also liegt es doch an der Kombination aus Hitze und Anstrengung.

Der Lehrer beordert uns auf 10 Uhr erneut für eine Übungsstunden ein, es wird also nichts mit dem erhofften freien Nachmittag. Wir trotten langsam nach Hause, beide still und offensichtlich müde. Zuhause angekommen wartet eine grosse Portion Idli auf uns, den wir schnell verschlingen. Ich esse nur die Hälfte, und bringe die andere Hälfte als Karma Yoga zu unserem Security Guard. Er ist offenbar auf Trinkgeld und Hilfe in Form von essen angewiesen, in der Shala wurden wir aufgefordert, auf diese Weise Karma Yoga zu betreiben.

Ich gehe wieder in auf mein Zimmer und falle sofort in einen tiefen Schlaf. Der Wecker klingelt mich um 9:30 wieder wach und ich stehe widerwillig auf, mache mich langsam fertig und versuche, meine müden Muskeln zu lockern. 9:45 stehe ich vor der Tür und wundere mich über die Stille. Ich rufe den Namen meiner Nachbarin, sie verschläft wieder. Also gehe ich schon mal los und komme tatsächlich über-pünktlich in der Shala an. Es reicht sogar noch zu einem Kaffee, den ich nur zu gern mitnehme. Wir beginnen pünktlich mit unserer zweiten Lektion: Diesmal sind die Beginners-Asanas dran. Der Lehrer läuft auf und ab, während er uns die Posen diktiert. Ich habe grosse Schwierigkeiten, die Sanskrit-Namen der Asanas zu schreiben, weil ich sie erstens noch nicht gelernt habe, zweitens die Aussprache des Lehrers es mir nicht gerade leicht macht, und drittens kenne ich diese Asanas alle noch gar nicht. Also tue ich, was ich immer in solchen Situationen tue: Ich lächele meine Unsicherheit weg und tue, als ob ich schreibe. Am Ende des Diktats habe ich ein unvollständige Liste mit unleserlichen Namen, und hoffe, sie später bei meiner Zimmernachbarin abschreiben zu können. 

Dann geht es an die praktische Durchführung. Unser Lehrer erklärt bei allen Asanas, wieso es für Anfänger so wichtig ist und was wir aus der Durchführung ableiten können. Ich habe solch eine Vorbereitung noch nie erlebt, und bin fasziniert. Ich habe unheimlich viele Fragen, die mir der Lehrer auch geduldig beantwortet. Die Asanas sind nun nicht wirklich leichter, als die Asanas, die wir am morgen gemacht haben, einige haben es ganz schön in sich, und erneut spüre ich, wie mein Körper übermüdet ist. Bei den Bauchmuskelübungen will ich eine oder zwei weg mogeln, aber zu meinem Pech sieht der Lehrer es. Er kommentiert meinen Versuch mit einem „Wenn du nicht mehr kannst, sag dir einfach, dass du noch mehr machen kannst. Aufhören gilt nicht. Es ist nur dein Kopf, der nicht mehr will“. Ich ärgere ich über diesen Spruch, den ich selbst schon so oft in meinen Stunden gesagt habe, und noch mehr ärgert mich, dass ich dies selbst nicht beherzigt habe. Also mache ich unter Schmerzen weiter und versuche, dabei zu lächeln.    

Nach 90 Minuten haben wir auch diese Lektion geschafft, und schleppen uns ein weiteres Mal müde und mit noch mehr Schmerzen heim. Der Lehrer hat auch für den Sonntag 6:00 eine Übungsstunde angesetzt, und so wird nichts aus dem freien Tag, auf den ich insgeheim gehofft habe. Wenigstens hat unser Lehrer uns nahegelegt, am Nachmittag eine Massage in Anspruch zu nehmen, um die Muskeln zu lockern, so haben wir etwas, worauf wir uns freuen können. Den Nachmittag verbringen wir beide im Bett und werden erst gegen 18:00 wieder unter, als der Hunger uns aus dem Haus treibt. Das bunte Treiben auf den Strassen macht uns wieder gute Laune und wir kaufen frische Früchte und Gemüse für den Sonntag ein, an dem wir keine Verpflegung vom Shala bekommen. Wir laufen albernd und lachend durch die Strassen, probieren allerlei Fruchtssäfte, die ich hoch nicht kenne, trinken viel zu süssen indischen Kaffee, und ich mache hunderte Kuh-Fotos, worüber meine Zimmernachbarin sich furchtbar schlapp lacht. Sie versteht nicht, wie ich eine auf der Strasse herum laufende Kuh toll finden kann. Für sie ist eine umherlaufende Kuh natürlich etwas völlig normales.

Am Abend fallen wir wieder völlig müde ins Bett, am Sonntag klingelt der Wecker wieder um 5:00.